Die Situation an den Fronten im Jahr 1915.
Im Frühjahr 1915 waren die britischen Geschütze, mit wenigen Ausnahmen, auf vier Granaten pro Tag beschränkt, welche auch ’nur dann verwendet werden sollten, wenn es unbedingt notwendig ist‘. Handgranaten mussten aus leeren Rindfleisch- und Marmeladen-Dosen improvisiert werden.
Kriegsminister Kitchener bestritt, nachdem er von Premierminister Asquith darauf angesprochen wurde, dass es einen Mangel an Granaten gab. Aber Oberst Charles Repington, der Kriegskorrespondent der Times, berichtete nach seiner Rückkehr von der Westfront, dass der britische Angriff auf Festubert im April fast ausschließlich deswegen scheiterte, weil es an Hochexplosivgranaten mangelte, welche die deutschen Soldaten aus ihren Stellungen hätten vertreiben können.
Am 21. Mai 1915 erschien eine Schlagzeile in der Daily Mail, welche ‚Die Tragödie mit den Granaten‘ lautete. Die Zeitung behauptete, dass Kitchener ‚die Armee in Frankreich an hochexplosiven Granaten hat verhungern lassen‘. Kitchener behauptete nun – vielleicht sogar mit einigem Recht -, dass seine Kommentare von Asquith falsch interpretiert worden wären. Wie auch immer drastische Maßnahmen waren nun offensichtlich gefragt. Am 26. Mai kündigte die britische Regierung die Schaffung eines Ministeriums für Munition mit weitreichende Befugnissen an, welches von David Lloyd George geleitet wurde. Das Ministerium begann am 2. Juli 1915 seine Arbeit aufzunehmen und erreichte schnell spektakuläre Ergebnisse. Vier Monate später wurde ein interalliierte Munitionsorganisation gegründet, welche von Lloyd George und seiner ebenso dynamischen französischen Gegenstück, Albert Thomas, geleitet wurde. Im Frühjahr 1916 versuchten Kitchener einen brillanten Ingenieur, Herbert Hoover (dem späteren US-Präsident) davon zu überzeugen, seine amerikanische Staatsbürgerschaft abzulegen und dem Munitionsministerium als Lloyd George späteren Nachfolger beizutreten. Allerdings war noch nichts endgültig beschlossen, als Kitchener auf seiner Seereise nach Russland ertrank und Lloyd George das Kriegsministerium im Juni 1916 übernahm.
Kitchener hatte mit ungewöhnlicher Klarheit erkannt, dass der Krieg mindestens drei Jahre dauern würde und dass Deutschland ’nur aufgeben wird, wenn es auf dem Boden liegt‘. Er legte detaillierte Pläne für eine ‚Neue Armee‘ mit 70 Divisionen (1,2 Millionen Mann) für das Jahr 1917 vor, welche aus Freiwilligen bestehen sollte, die nicht mit dem Territorialtruppen-System in Berührung gekommen waren. Als junger Freiwilliger im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 hatte Kitchener angewidert gesehen, wie die französischen Territorialtruppen sich vor der hastig improvisierten preußischen Armee der Loire aus dem Staub gemacht hatten.
French verließ das BEF im Dezember 1915 und wurde durch Haig ersetzt. Ein bitterer Streit über die alliierte Strategie war nun in vollem Gange. Haig und der neue Chef des britischen Generalstabs, Robertson, gehörte zu der genannten ‚Westfront‘-Fraktion, welche für die gesamte Konzentration aller Truppen und Waffen in Frankreich eintraten. Die entgegengesetzte ‚Ost‘-Fraktion (einschließlich Lloyd George und Churchill) befürworteten ein entschlossenes Handeln gegen die schwächeren Mitglieder unter den Mittelmächten: Österreich, Italien (welches dann jedoch im Mai 1915 in den Krieg aufseiten der Alliierten trat) und der osmanischen Türkei.
Abgeschnitten von größeren alliierte Munitionslieferungen mussten die Russen von April an nach und nach größere Geländeabschnitte vor den deutschen Offensiven aufgeben, welche mit einer überwältigender Konzentration von schwerer Artillerie vorgetragen wurden, im Süden unter Mackensen und im Nordwesten unter Hindenburg. Das gesamte Russisch-Polen, einschließlich Warschau am 4. August, wurde von den deutschen Truppen überrannt. Die Ostfront befand sich bis Ende September 500 km weiter östlich und die Armeen des Zaren hatten 2 Millionen Mann verloren, wovon die Hälfte Kriegsgefangene waren. Dazu kamen noch 3.000 Geschütze an Verlusten.
Der Zar selbst sah sich gezwungen, seinen Onkel, den Großfürsten Nikolaus am 5. September als Oberbefehlshaber persönlich abzulösen. Dadurch entzogen sich die wichtigen innenpolitische Ereignissen in der Heimat der Aufmerksamkeit des im Felde befindlichen Zaren und ließ ihn auch gleichzeitig zum persönlich Verantwortlichen für weitere militärische Niederlagen werden.
Kein Wunder, dass der deutsche Generalstabschef Falkenhayn der vollen überzeugen war, seine Ziele aus dem Frühjahr mit der ‚Ausschaltung der russischen Offensivkraft‘ erreicht zu haben. Über das gut ausgebaute Eisenbahnnetz der Mittelmächte verlegte er einige seiner siegreichen Divisionen auf den Balkan, um Serbien auszuschalten, welches sich seit mehr als einem Jahr gegen die österreich-ungarischen Truppen zäh behauptete. In etwas mehr als sechs Wochen im Oktober und November überrannten Mackensens Ostfront-Veteranen mit der Hilfe der Bulgaren die Serben. Die verbliebenen serbischen Truppen mussten in einem unvergessenen Wintermarsch durch die Berge nach Albanien marschieren, wo sie von alliierten Kriegsschiffen evakuiert wurden. Eine französisch-britische Landung bei Saloniki im eigentlichen neutralen Nordgriechenland erfolgte zu spät, um den Ablauf noch zu beeinflussen.
Nun fühlte sich der deutsche Generalstabschef Falkenhayn im Dezember in der Lage, sein bevorzugtes strategisches Ziel anzugehen: die bereits leidgeprüften französische Armee niederzukämpfen, sodass ‚der Knackpunkt erreicht werden würde, und England sein bestes Schwert aus der Hand geschlagen bekäme‘. Die alliierte Entente sollte zusammenbrechen, bevor Kitcheners neues Millionen-Heer an der Westfront bereit sein würde.
Nur auf dem abgelegenen afrikanischen Kriegsschauplatz erzielten die Alliierten im Jahr 1915 einige klare militärische Erfolge. Die anglofranzösischen Kolonialtruppen beendeten die hart erkämpfte Eroberung von Kamerun von Oktober 1915 bis Februar 1916. Dazu triumphierten Bothas Südafrikaner zwischen Februar und Juli 1915 über Deutsch-Südwestafrika, wo sie einen musterhaften Wüstenfeldzug mit hervorragender Logistik und Kommando-Unternehmen im Stil der Buren durchführten. Nach einem Jahr in der Defensive gegenüber Deutsch-Ostafrika konnten nun alle britischen Kolonialtruppen gegen diese letzte, sich widersetzende deutsche Kolonie eingesetzt werden.
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