Strategie-Computerspiele


Bei dem Versuch, Strategiespiele aus pädagogischer Sicht zu beurteilen, setzt man sich zwischen zwei Stühle. Einerseits beinhalten diese Spiele Konfliktszenarien, in denen zum Gewinn gegnerische Einheiten meist auf kriegerische Art und Weise vernichtet werden müssen, andererseits ist die Förderung verschiedener Fähigkeiten wie z.B. Übersicht und Planung pädagogisch durchaus wünschenswert. Jürgen Maaß stellt seine Überlegungen zu diesem Thema vor, beschreibt ausführlich zwei beispielhafte strategische Computerspiele und vergißt nicht ihre Ahnen, strategische Brettspiele und militärische Kriegsspiele.

Lesehinweise
Ralf Streibl: Krieg im Computerspiel
Christian Büttner: Gewalt im Spiel – Zum Verhältnis von phantasierter zur realen Gewalt
Gerwin Braun, Wolfgang Fehr, Bernd Ohnemüller, Friedemann Schindler:
Netzwerke als neue Spiellandschaften!
BPjS: Indizierungsentscheidung ‚PANZER GENERAL‘


1. Was sind Strategiespiele am Computer ?

1.1 Allgemeine Charakterisierung

Der Spieler (für Spielerinnen ist dieser Typ von Spiel wenig attraktiv – ich werde deshalb ganz bewußt immer der Spieler schreiben) wird in die Position eines Feldherren versetzt, der eine Armee aus unterschiedlichen Einheiten befehligt. Die zentrale Aktivität des Spielers ist es, Befehle an seine Armee zu geben: Gehe dorthin, greife dort an, beziehe dort Stellung, verteidige jenen Ort, bewache diesen Ort, erkunde in dieser Richtung, ….

Mit wachsender Komplexität der Spiele sind zu diesen Kernfunktionen des Befehlshabers immer mehr andere Tätigkeiten hinzugekommen: Wirtschaftliche Aspekte (Finanzierung der Armee durch Steuern, Kauf oder Produktion neuer Einheiten…), Ausbildung und Training der neuen Einheiten, Versorgung und Nachschub (Lebensmittel, Treibstoff, Munition), Schaffung von Infrastruktur (Ausbau von Städten, Wegen, Planetenbasen etc.), Forschung für neue Waffen und Ausrüstungen.

Infolge der wachsenden Komplexität der Spiele sind Grenzlinien zu anderen Typen von Spielen nicht leicht zu ziehen – häufig werden Elemente anderer Typen eingebaut: So werden etwa die Eigenschaften eines Befehlshabers einer Armeegruppe wie in einem Rollenspiel bestimmt und verbessert, Kämpfe zwischen feindlichen Armeen in einem „Taktik-Modus“ in Echtzeit oder rollenspielähnlich (jede Einheit hat pro Runde eine bestimmte Anzahl von Aktionspunkten, die auf Bewegung und Kampf verteilt werden können) ausgetragen, eine Folge von Schlachten in einzelnen Szenarien wird durch eine Rahmenhandlung verbunden oder die wirtschaftlichen und strukturentwicklenden Elemente dominieren das Spielgeschehen dergestalt, daß aus dem Spiel eher eine Staatssimulation wird.

Wachsende Computerkapazität erlaubte auch eine immer größere Differenziertheit (der Kartendarstellung) der Landschaft, in der gespielt wird, feiner ausgefeilte Regeln für Bewegung und Kampf, eine immer größere Vielfalt von unterschiedlichen Spielfiguren (Einheiten) mit sehr verschiedenen Eigenschaften (Parameter für Bewegung, Angriff, Verteidigung, Erfahrung,…), immer größere Spielpläne, mehr Computergegner (die aber häufig nur durch bessere Ausgangspositionen und materielle Übermacht, nicht aber durch „intelligente“ Züge/Aktivitäten bedrohlich sind) und schließlich auch – über einen Mehrspielermodus (z.T. über Netzwerk) den Kampf gegen andere menschliche Befehlshaber. Nicht zuletzt wird die Story, der Rahmen der Spielhandlung, ausgeweitet: Vom altertümlichen Schlachtfeld (SCHACH und GO) über Mittelalter und Neuzeit (an Waffentypen aus dem zweiten Weltkrieg angelehnte Szenarien sind häufig) reicht der Bogen nun auch in Fantasy-Umgebungen und Weltraum-Kriege.

1.2 Historische Wurzeln

Die heutigen recht komplexen Strategie – Spiele sind nicht entstanden, ohne daß dabei auf unterschiedliche Vorbilder zurückgegriffen wurde. Naheliegend sind Entwicklungsgeschichten innerhalb der Computerspiele selbst: In BATTLE ISLE III wurden Muster von BATTLE ISLE I, HISTORY LINE 1914-1918 und BATTLE ISLE II weiterentwickelt und verfeinert. Anregungen (vorsichtig ausgedrückt) für die Verbesserung von Version zu Version können auch von Konkurrenzprodukten stammen, etwa NECTARIS oder PANZER GENERAL. Einzelne Elemente dieser Spiel wiederum finden sich in älteren Computerspielen: Einheiten werden über Landkarten bewegt, Duelle zwischen je zwei Einheiten werden per Zufall oder aufgrund von den einzelnen Einheiten zugeordneten Kampfwerten für Angriff und Verteidigung entschieden. Diese Werte können wiederum durch Erfahrung, Ausbildung, Ausrüstung, Gelände, Wetter und nicht zuletzt wiederum durch eine Zufallskomponente variiert werden. Ein anderes, immer wieder in Strategiespielen auftretendes Element ist die Aufstellung bzw. Produktion neuer Einheiten in eigenen Städten bzw. Fabriken. Wer eine Stadt/Fabrik erobert, vergrößert damit sein Potential für die weitere Rüstung.

Solche Spielelemente sind bei Computerspielen nicht zum ersten Mal aufgetreten, sie haben historisch verfolgbare Wurzeln. Zwei davon möchte ich erwähnen: Brettspiele, die als Gesellschaftsspiele mehr oder weniger viel Verbreitung gefunden haben und Kriegsspiele („Planübungsspiele“), die zur Ausbildung beim Militär verwendet wurden und werden.

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2. Beispiele für Computerstrategiespiele

Bisher habe ich im Vorgriff auf die nun folgenden Beispiele für verschiedene Computerstrategiespiele verweisen. In diesem Kapitel werden nun einzelne Spiele exemplarisch vorgestellt. Ausgewählt wurden genre-prägende Spiele aus verschiedenen Epochen der Spielentwicklung. Zusätzlich wurde bei der Auswahl darauf geachtet, das Spektrum der thematischen Hintergünde zu berücksichtigen (Szenarien mit Waffen etc. aus Weltkrieg II, Mittelalter & Fantasy sowie Science Fiction) und zudem solche Spiele zu beschreiben, die zu den Hits gehör(t)en. Zu jedem dieser Spiele gibt es eine Reihe von ähnlichen Produkten, z.T. auch solche, die als Shareware von Fans erstellt wurden, um bestimmte von diesen Shareware-Programmierern als Mängel empfundene Aspekte des Spiels zu verbessern. Ich weise z.T. in den einleitenden Texten zu den Beispielen auf diese Produkte hin.

Was macht ein Strategiespiel zu einem HIT ?

  • Ein wichtiger Punkt ist eine gute Bedienbarkeit – je größer die Schachteltiefe der Bedienungsmenüs, je unbeliebter wird das Spiel.
  • Komplexität und Konzentration auf das Wesentliche in der Bedienung: Das Einbeziehen z.B. von Nachschub oder Infrastruktur ins Spielgeschehen kann den Reiz des Spiels wesentlich erhöhen. Der Reiz geht schnell verloren, wenn ich jede militärische Einheit mit (extrem gesprochen) 25 oder mehr verschiedenen Gütern versorgen muß, die ich mit 25 verschiedenen Typen von Versorgungseinheiten „von Hand“ (also ohne Programmhilfe) bewegen muß. Ähnliches gilt für die Produktion von Einheiten: Wenn ich meine Spiel-Zeit fast ausschließlich damit verbringe, routinemäßig Rohstoffe zu Fabriken zu transportieren, ist die Motivation schnell dahin.
  • Ausgewogenheit und Zusammenspiel der Einheiten: Nutzlose Einheiten sind ebenso störend wie unbesiegbare Supereinheiten. Spannend wird es, wenn sich verschiedene Einheiten sinnvoll ergänzen, etwa Artillerie sowie Fußtruppen und Fliegerabwehr zu ihrem Schutz, Panzer und Flieger im koordinierten schnellen Angriff, Zauberer und Schwertkämpfer, große und kampfkräftige Raumschiffe und schnelle Erkunder etc.
  • Die innere Logik (eventuell auch Realitätsnähe) muß einleuchten und passen: Ein Fußsoldat, der seinen Speer mit tödlicher Wirkung über das ganze Spielfeld wirft, ist ebenso störend wie ein Zufallsgenerator, der unbeeinflußbar ganze Planten aus dem Kosmos schmeißt. Genauer: Ein wesentlicher Teil des Reizes eines Spieles liegt darin, zu lernen, wie das Programm geschrieben ist, um die Reaktionen des Computergegners möglichst genau vorhersagen zu können. Wenn das Programm nicht die selben Regeln wie der Spieler für die Bewegung, Kampfkraft etc. seiner Figuren hat, sondern einfach zufällig oder mit unfairem Vorteil Schaden anrichtet, leidet die Spielfreude – aus dem Spiel wird eine stete Speicherübung, da der Zufall durch häufiges Speichern und Laden weitgehend ausgeschaltet werden kann.
  • Nicht zuletzt: Die Qualität („Intelligenz“) des Computergegners: Schachprogramme spielen stark, weil die Algorithmen sehr gut sind. Sie erreichen ihre Überlegenheit nicht dadurch, daß sie mit zwei Damen oder 10 Türmen spielen. Leider kann man ähnliches von nur sehr wenigen Computerstrategiespielen behaupten. Die meisten Computergegner sind stark, weil sie materiell deutlich überlegen sind; häufig ziehen sie ihre vielen Einheiten jedoch recht sinnlos durch die Gegend.

Auf die Beschreibung von Negativ-Beispielen (schlechten Spielen) wird bewußt verzichtet.


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2.4 Civilization

Von dem Zeitpunkt, an dem ein Nomadenstamm seßhaft wird, bis zu jenem, an dem eine Gruppe von Siedlern einen anderen Stern (Alpha Centauri) erreicht, kann ein Spieler (oder eine Spielerin) die Geschicke seines (ihres) Stammes lenken. In diesem Spiel müssen dazu Kultur, Handwerkskunst,Technik und Wissenschaft entwickelt werden. Ebenso notwendig ist es, sich mit Konkurrenten auseinanderzusetzen. Das Spiel bietet die Option zu eher friedlich-wirtschaftlichen Strategien (mit Aussicht auf Handel und Wohlstand) oder Krieg (mit Aussicht auf Beute).

Während der militärische Teil des Spiels an EMPIRE erinnert (Sid Meier, der Autor, hat dies in Interviews bestätigt), waren die Aspekte Stadtentwicklung und Staatslenkung sowie Forschung neu und beispielgebend für viele Nachfolgeprogramme. Je nach Forschungsstand können in einer Stadt verschiedene Gebäude erreichtet oder Einheiten gebaut werden. Bestimmte Gebäude erhöhen die Wirtschaftsleistung (Marktplatz, Bank), andere die Forschungsleistung (Bibilothek, Universität), andere beugen Unruhen vor (Tempel, Kirche, Kaserne), wieder andere (Aquadukt) sind Voraussetzung für das Wachstum der Stadt über eine bestimmte Größe hinaus usw.. Erwähnenswert sind auch die nicht-militärischen Einheiten Siedler und Diplomat. Siedler schaffen Infrastruktur (Wege, Bewässerung etc.) und gründen neue Städte, Diplomaten stellen Kontakte her, können aber auch feindliche Einheiten bestechen oder – wenn genügend Geld vorhanden ist – ganze feindliche Städte kaufen. Diese Städte werden unversehrt übernommen, während eroberte Städte oft weitgehend zerstört sind.

Das harmonische Zusammenspiel der einzelen Komponenten des Spieles und die Vielfalt der strategischen Möglichkeiten sorgen dafür, daß es auch nach 5 Jahren (die PC-Version erschien im Jahre 1991) noch immer – hinsichtlich der Spielqualität – besser als die meisten Nachfolger und Nachahmer ist und Ende 1995 fast unverändert als CIVNET (also in einer netzwerkfähigen Mehrspieler-Version) auf Windows-Basis „neu“ auf den Markt kam.

Nun zur Einzelanalyse:

(E 1): Das Spielbrett/die Landkarte: Der Spielplan ist eine realitätsnahe Landkarte mit verschiedenen Landschaftselementen: Land (Wald, Gras, Steppe, Wüste, Gebirge, Fluss, Hügelland,…) Meer/Wasser, Stadt. Zusätzlich gibt es besondere Ressourcen in den Meeren und am Land, etwa Fischreichtum oder Erz im Hügelland. Der Spielplan ist (unsichtbar) unterlegt mit einem Raster aus Quadraten, die jeweils ein Spielfeld bilden und eine Landschaftsformation sowie eine Einheit oder eine Stadt enthalten können. In einer Stadt können auch mehrere Einheiten postiert werden. Dem Spiel beigegeben ist eine Landkarte der Erde, die als Spielplan verwendet werden kann. Falls im Startmenü eine andere Option gewählt wird, erzeugt das Spiel zum Start eine neue Karte. Auf deren Gestaltung kann durch die Wahl von bestimmten Parametern Einfluß genommen werden (etwa: große, mittlere oder kleine Landmasse). Zu Beginn des Spiels sind nur die Felder in unmittelbarer Umgebung der einzigen eigenen Einheit (Siedler) sichtbar. Die Erkundung der nicht erkennbaren Landkarte und insbesondere das Finden anderer Städte ist eine wesentliche Aufgabe im Spiel. Zu Beginn sind eine Reihe von neutralen Orten auf der Karte verteilt. Wer sie betritt (eine Einheit erhält den Befehl, auf das entsprechende Feld zu ziehen), kann eine angenehme oder unangenehme Überraschung erleben: Positiv sind Geld, Verbündete oder alte Schriftrollen, auf denen Zivilisationsfortschritte beschrieben sind, die man noch nicht selbst erforscht hat; negativ sind große Barbarenhorden, die gerade zu Beginn des Spieles ernstzunehmende Gegner sind.

(E 2): Einheiten: Es gibt eine Vielzahl von Spielfiguren: Die 25 verschiedenen militärischen Einheiten entsprechen der Entwicklung der Zivilisation von der Miliz über die Legion bis hin zur Infantrie, vom Streitwagen zum Panzer, vom Katapult zur Artillerie, vom Dreiruderer zum Schlachtschiff. Auch Flieger und sogar Atomraketen kommen vor. Nichtmilitärisch sind Siedler, Diplomaten (s.o.) und Karawanen (Handel). Die Einheiten sammeln keine Erfahrung, ihre Kampfkraft hängt nicht davon ab, welche Kämpfe sie bisher erfolgreich überstanden haben. Die Einheiten bewegen sich gradlinig oder diagonal von Feld zu Feld. Einzige Einschränkung: Landeinheiten können sich nur auf dem Land fortbewegen und Schiffe nur auf dem Wasser. Transportschiffe können Armeen von einer Insel zur nächsten verfrachten; Flugzeugträger können Flugzeuge, die sonst nur in eigenen Städten landen können, aufnehmen. Die Anzahl der Felder, die eine Einheit pro Zug bewegt werden kann, hängt von der Einheit selbst ebenso ab wie von dem Stand des Ausbaus der Infrastruktur. Z.B. können Fußtruppen im freien Gelände ein Feld pro Zug zurücklegen, gepanzerte Fahrzeuge der Neuzeit hingegen 3 Felder. Gebirge oder Sümpfe verlangsamen die Bewegung, Straßen und Eisenbahnen vereinfachen sie. Auch der Bau von „Wundern“ kann Einfluß auf die Bewegung haben: Ein Leuchtturm führt dazu, daß alle Schiffe ein Quadrat pro Zug mehr bewegt werden können. Die Einheiten der verschiedenen Spieler (bis zu 7 Parteien spielen mit) unterscheiden sich nur durch ihre Farbe.

(E 3): Einfluß der Landkarte auf das Spielgeschehen: Kampfkraft, Angriffs- oder Verteidungswerte der einzelnen Figuren hängen von den Eigenschaften des Feldes ab, auf dem sie sich befinden. So erhöht z.B. die Position auf einem Berg den Verteidigungswert einer Einheit um 200%. Auch Stadtmauern sind nützlich: Sie verdreifachen die Stärke aller Einheiten.

Wo ein Angriff stattfinden kann, hängt ebenfalls von der Landkarte ab: Nur auf benachbarten Feldern wird gekämpft. Die Verteilung von Land und Wasser übt einen starken Einfluß auf die Strategie aus. So muß etwa ein Spieler, der auf einer kleinen Insel startet, bald beginnen, die Grundlagen der Seefahrt zu erforschen, um Schiffe bauen und die Insel verlassen zu können.

(E 4): Bewegungen der Einheiten: Die eigenen Armeen werden per Mouse klick oder Tastaturbefehl gezogen. Wenn auf dem Weg zum Ziel ein Feindkontakt geschieht, wird nicht automatisch gekämpft, sondern nur auf extra Befehl. Für jede Einheit ist genau festgelegt, wie schnell sie sich bewegen können (s.o.). Pro Zug kann jede Einheit gezogen werden.

(E 5): Spielweise: Gespielt wird rundenweise (in Civ Net gibt es auch eine Option für gleichzeitige Eingabe aller Mitspieler): Jede Partei befiehlt jeder Einheit, was zu tun ist („gehe dorthin“, „greife an“, „baue“, „siedle“, „tue nichts“ etc.). Für jede einzelne Stadt kann festgelegt werden, welche Gebäude oder Einheiten hier produziert werden sollen. Schiffe können nur in Häfen hergestellt werden. Im Menü Stadtverwaltung kann auch bestimmt werden, welche der umliegenden Spielfelder genutzt werden sollen und wieviele der Bürger einer Stadt welchen Aufgaben nachgehen sollen.

(E 6): Kampf: Ein verhältnismäßig komplizierter Algorithmus entscheidet über den Erfolg eines Duells. Zunächst werden die Ausgangswerte einer Einheit (ein Schlachtschiff hat z.B. den Angriffswert 18, eine Phalanx den Verteidigungswert 2) und dann die Einflüsse der Felder berücksichtigt, auf denen sich die Einheiten befinden (s.o.). Damit wird die Wahrscheinlichkeit berechnet, nach der eine Einheit gewinnt. Dann wird „gewürfelt“ (ein Zufallsgenerator befragt) – die unterlegene Einheit wird aufgelöst und verschwindet vom Spielfeld. Wer oft genug speichert und lädt, kann also mit einer Milizeinheit (Angriffswert 1) auch eine gut befestigte Stadt mit Stadtmauer erobern, in der gerade ein Schlachtschiff mit Verteidigungswert 12 ankert – nach sehr vielen Versuchen.

Wenn sich zwei Einheiten begegnen, wird nicht automatisch gekämpft. Auch verhandeln ist möglich. Dann erscheinen Abbildungen der Staatsoberhäupter, aus denen zusätzliche Informationen über die Verhandelnden zu entnehmen sind. Dialoge mit dem Computer werden durch die Auswahl von vorgegebenen Möglichkeiten geführt, über das Netz können menschliche Spielpartner frei kommunizieren.

(E 7): Versorgung/Nachschub: Die Einheiten brauchen Nahrung und andere Versorgung (symbolisiert durch Schilde). Nachschub (neue Einheiten) wird in eigenen Städten produziert.

(E 8): Wirtschaft: Civilization hat einen großen Anteil Wirtschaftssimulation integriert. Die Produktivität der Städte ist eine entscheidende Grundlage für den Sieg im Spiel. Ein wesentlicher Anteil der Entscheidungen und der Spieltätigkeit befaßt sich mit der Frage, was auf welche Weise produziert werden soll (Stadtverwaltung).

(E 9): Spielziel: Gewonnen hat, wer die Gegener vernichtet oder als erster Siedler zu einem anderen Stern bringt. Vorausetzung für die Reise in den Weltraum ist der ressourcenverschlingende Bau eines Raumschiffes.

(E 10): Darstellung/Ästhetik: Der Spielplan ist farbig gestaltet. Nicht erkundete Flächen sind dunkel. Einheiten und Städte werden durch Symbole angezeigt. Bearbeitete Spielfelder (z.B. bewässerte Ebenen) werden besonders gekennzeichnet. Die Verpackung zeigt die Skyline einer großen Stadt und den Umriß einer altägyptischen Totenmaske.

Nachbemerkung: Ein Vorbild für das Spieldesign war ein Brettspiel, das nun (Januar 1996) auch als direkte Übersetzung in ein Computerspiel namens „Advanced Civilisation“ vorliegt. Da es in seiner Spielqualität hinter Sid Meier“s Spiel zurückbleibt, wird nicht näher auf dieses Computerspiel eingegangen.

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2.8 Command & Conquer

Wenn rundenweise gezogen wird, können komplexe Spielzusammenhänge und große Landkarten den Strategiespielprofi eher motivieren als abschrecken. Für jeden Zug ist genügend Zeit vorhanden (d.h., jeder Spieler kann sich genügend Zeit nehmen), um in Ruhe zu überlegen, die Situation der einzelnen Einheiten zu analysieren, für jede einzeln und alle zusammen Pläne zu machen und in die Tat umzusetzen. Im Unterschied dazu ist in einer Echtzeitsimulation die Zeit begrenzt; auch eine strategisch „an sich“ gute Position kann dadurch verspielt werden, daß sich die Aufmerksamkeit des Spielers nicht rechtzeitig auf jenen Bereich des Spielfeldes richtet, in dem gerade etwas Bedrohliches passiert. Ein Beispiel ist die rechtzeitige Einschaltung der Reparaturfunktion für ein angegriffenes Gebäude. Echtzeit sowie natürliche Grenzen der Konzentration und der Aufnahme- und Aktionsmöglichkeit beschränken die maximal mögliche Komplexität ebenso wie eine sinnvolle Größe des Spielplanes. Wenn – um ein Beispiel zu nennen – in einem Echtzeit – Strategiespiel jede (von vielen) Kampfeinheit(en) laufend von drei verschiedenen Typen von Versorgungseinheiten mit Nahrung, Munition und Treibstoff versorgt werden müßte, wäre als Konsequenz die Armee nicht beweglich und der Spieler überfordert. Hier als Spieldesigner eine Balance zwischen hinreichender und zu großer Komplexität und Schwierigkeit der Siegbedingungen (oder gar Umständlichkeit der Spielbedienung) zu finden, ist nicht einfach. Die amerikanische Version von COMMAND & CONQUER – ein Nachfolgeprogramm von DUNE II – wurde ausgewählt, weil sie zu den besten Spieles dieses Typs gehört und – gerade in ihrer Originalversion – einigen Anlaß zur Diskussion über Gewaltdarstellungen gegeben hat.

Kurzdarstellung:

Die „Guten“ (GDI wie Global Defense Initiative) und die „Bösen“ (die Brotherhood of NOD) kämpfen um die Weltherrschaft. Der Spieler wählt zu Beginn, welche Seite er als Befehlshaber unterstützen will. Von dieser Seite erhält er dann eine Reihe von Aufgaben. So entstehen zwei Campagnen von 15 bzw. 13 Szenarios, in denen jeweils eine per Video genau beschriebene Aufgabe zu lösen ist. In der Regel sollen alle feindlichen Einheiten und Gebäude vernichtet werden, bisweilen aber „nur“ eine bestimmte Person (ein Wissenschaftler) oder ein Gebäude. Nach jedem Szenario gibt es eine statistische Auswertung und eine Punktezahl als Rückmeldung – und zur Eintragung in die Highscoreliste. Obwohl nicht rundenweise, sondern in Echtzeit gespielt wird (die Zeit kann nach Wahl mehr oder weniger schnell ablaufen), handelt es sich um eine Strategiespiel, das in seiner Komplexität in etwa an Battle Isle I erinnert. Obwohl die Echtzeitstimmung dazu verleitet, schnell zu spielen, sofort anzugreifen etc. erweist es sich in vielen Szenarien als notwendig, lange Zeit zu warten, Gebäude und Verteidigungslinien zu errichten, viele Truppen auszurüsten und erst dann langsam vorzurücken und anzugreifen. Außerdem ist es wegen der Übersichtlichkeit sehr sinnvoll, nur so vorzugehen, daß an einer Stelle des Spielplans gleichzeitig etwa geschieht (eine Erkundung des anfangs unbekannten und abgedunkelten Geländes, ein Gefecht, die Eroberung eines Gebäudes etc.). Der Computergegner ist (in den späteren Szenarien) hauptsächlich wegen seiner viel besseren Ausgangsposition gefährlich, nicht aber wegen einer besonders cleveren Strategie.

Nun zur Einzelanalyse von COMMAND & CONQUER:

(E 1): Das Spielbrett/die Landkarte: Der Spielplan ist eine realitätsnahe Landkarte mit verschiedenen Landschaftselementen: Land (Straße, Wald, Gras, Gebirge, Fluss, Hügelland,…) Wasser und Gebäuden (Construction Yard, Power Plant, Barracks, Guard Tower, Refinery, Communications Centre, Weapons Factory, …insgesamt 22 verschiedene), die unterschiedliche Funktionen haben. Sie ermöglichen den Bau anderer Gebäude, die Energieversorgung, die Rekrutierung neuer Fußtruppen, bewachen ihre Umgebung, dienen als Sammel- und Verarbeitungzntrale für den Rohstoff Tiberium, ermöglichen einen Radarüberblick über den gesamten Spielplan (je nach Größe des Gesamtplans zeigt das aktive Fenster nur ca 1 bis 10 % der Gesamtfläche), den Bau von Fahrzeugen etc. Der Spielplan ist (unsichtbar) unterlegt mit einem Raster aus Quadraten, die jeweils ein Spielfeld bilden und eine Landschaftsformation sowie eine Einheit oder einen Teil eines Gebäudes enthalten können.

Das Spiel ist unterteilt in eine Reihe von Schlachten auf unterschiedlichen Landkarten, auf denen jeweils eine bestimmte Ausgangsposition (ein Szenario) fixiert ist: Jedem Spieler stehen bestimmte Einheiten und Gebäude zur Verfügung. Von Beginn an sind nicht alle Felder und alle Bewegungen des Feindes sichtbar. Erkundung ist also eine wichtige Aufgabe im Spiel.

(E 2): Einheiten: Es gibt 25 verschiedene Spielfiguren: Die militärischen Einheiten entsprechen etwa jenen, die derzeit verwendet werden: Infantrie, Panzer, Artillerie, Transportfahrzeuge, Kriegsschiffe und Flieger. Einige, wie fahrende Flammenwerfer, sind m.W. im Heer nicht üblich. Die Einheiten sammeln im Kampf keine Erfahrung, ihre Kampfkraft hängt nicht davon ab, welche Kämpfe sie bisher erfolgreich überstanden haben. Um eine Einheit zu produzieren, sind einerseits das entsprechende Gebäude und andererseits die notwenige Menge an Credits Voraussetzung.

(E 3): Einfluß der Landkarte auf das Spielgeschehen: Kampfkraft, Angriffs- oder Verteidungswerte der einzelnen Figuren hängen nicht von den Eigenschaften des Feldes ab, auf dem sie sich befinden. Wo ein Angriff stattfinden kann, hängt ebenfalls von der Landkarte ab: Nur auf Feldern in Reichweite wird gekämpft. Es gibt Waffen mit Fernwirkung: Artillerie kann über mehrere Felder hinweg eingesetzt werden. Die Verteilung von Land und Wasser (Brücken!) übt ebenso einen starken Einfluß auf die Strategie aus wie die Anordnung der Gebäude und Straßen.

Rohstoff im Spiel ist das Tiberium. Spezielle Erntemaschinen werden eingesetzt, um es zu bekommen. Zu Spielbeginn liegt Tiberium auf bestimmten Feldern; auf einigen wächst es auch dann wieder nach, wenn es einmal abgeerntet war. Offensichtlich ist die Kontrolle dieser Felder ein bedeutendes strategisches Ziel; auch der Angriff auf gegenerische Erntefahrzeuge ist lohnend, weil auf diese Weise der feindliche Nachschub getroffen wird.

(E 4): Bewegungen der Einheiten:

Die eigenen Armeen werden per Mouse gezogen. Für jede Einheit ist genau festgelegt, wie schnell sie sich bewegen und welche andere Einheiten sie angreifen können. Pro Zug kann jede Einheit gezogen werden. Die Einheiten bewegen sich von Feld zu Feld. Einschränkung: Landeinheiten können sich nur auf dem Land fortbewegen und Schiffe nur auf dem Wasser. Transportfahrzeuge können Fußsoldaten verfrachten. Wenn ein weit entferntes Ziel für eine Einheit angegeben wird, bewegt sie sich auf einem selbstgewählten (nicht immer dem kürzesten!) Weg dorthin. Dabei ignoriert sie alle feindlichen Einheiten und wird so leicht angreifbar.

(E 5): Spielweise: Gespielt wird in Echtzeit: Jede Partei befiehlt jeweils einer Einheit, was zu tun ist: „gehe dorthin“, „greife jene Einheit an“. Auch wenn eine Partei nur abwartet, kann die andere Partei aktiv sein. Mit anderen Worten: Wer als Spieler nur abwartet, wird immer wieder angegriffen und hat keine Chance, zu gewinnen, wenn er nicht irgendwann die Strategie ändert. Auch über den Bau (oder Abriß/Verkauf) von Gebäuden und die Produktion von Nachschub muß laufend entschieden werden. Konkret heißt dies in der Regel, daß immer wieder abgewogen werden muß, was mit den zur Verfügung stehenden Credits am besten und zuerst getan wird: Soll ein Gebäude erstellt, eine Einheit produziert oder etwas repariert werden? Sollen viele Credits für ein größeres Gebäude gespart oder besser mehrere kleine Kampfeinheiten gekauft werden? Ein Teil der Aufmerksamkeit sollte immer dem Radarschirm (sobald es einen gibt) und dem Ton gelten: Durch farbige Punkte wird die Position feindlicher und eigener Einheiten angezeigt; Kampfgeräusche, Todesschreie und Kommentare wie „Unit lost“, „Building captured“, „Silos needed“ oder „Low power“ geben wichtige Informationen.

(E 6): Kampf: Wenn sich zwei feindliche Einheiten auf Schußweite nähern (diese ist von Einheit zu Einheit unterschiedlich), beginnen sie, aufeinander zu schießen (ohne eigenen Befehl). Eine angreifende Einheit hat einen Überraschungsvorteil. Eine Einheit, die einen anderen Befehl hat, schießt nicht auf den Angreifer zurück. Die Wirkung der Angriffe richtet sich nach den Waffen der Einheiten, der (durch den Zufall mitbestimmten) Zielgenauigkeit und der Panzerung des Angegriffenen. Ein Angriff mit einer Maschinenpistole auf ein Gebäude führt nur dann nach längerer Zeit zur Zerstörung des Gebäudes, wenn es währenddessen nicht wiederhergestellt wird (Repair-Funktion). Ein Raktentreffer tötet einen Fußsoldaten sofort. Eine Beinahetreffer bzw. ein Treffer auf eine Panzerung führen zu Beschädigungen.

(E 7): Versorgung/Nachschub: Die Einheiten brauchen keine Versorgung mit Munition oder Treibstoff. Beschädigte Einheiten können in einer speziellen Einrichtung (Repair Bay) wiederhergestellt werden, wenn genügend Credits vorhanden sind. Credits können aus Tiberium gewonnen werden, das zu Beginn des Spiels auf dem Spielfeld verteilt ist. Der Kampf darum, wer diesen Rohstoff mit einer Erntemaschine einsammeln und zu den eigenen Gebäuden (Refinery) bringen kann, bildet einen wichtigen Bestandteil der Spielstrategie. Neue Einheiten werden in eigenen Fabriken produziert.

(E 8): Wirtschaft: COMMAND & CONQUER hat keinen Anteil Wirtschaftssimulation.

(E 9): Spielziel: Gewonnen hat, wer das jeweilige Missionsziel in einem Szenario erreicht. In der Regel heißt das Ziel „Vernichtung aller feindlichen Einheiten und Gebäude“, manchmal ist es spezifischer (eine bestimmte Spielfigur „Prof. X“ ist zu töten oder ein bestimmtes Gebäude zu zerstören).

(E 10): Darstellung/Ästhetik: Der Spielplan ist farbig gestaltet. Einheiten und Gebäude werden realitätsnah angezeigt. Die Animationen der Kämpfe sollen durch Feuerbälle, Geschosse und Todesschreie offenbar auch Freunde von Action-Szenen ansprechen. Der Verlust von Einheiten macht sich optisch (Explosion) und akustisch bemerkbar (Explosion, Todesschrei, Kommentar). Wenn ein Gebäude zusammenstürzt, gibt es einen Feuerball. Besonders bemerkenswert ist eine Taktik im Kampf Panzer gegen Fußsoldat: gelingt es dem Panzer, einen Soldaten zu überfahren, endet dessen Leben mit einem schmatzenden Geräusch. Außerdem liegt es im Sinne der Spielstrategie und einiger Aufträge, auch auf zivile Gebäude und Zivilisten zu schießen (selbst dann, wenn sie mit erhobenen Armen weglaufen – sie kehren sonst um und greifen an).

Kommentar: Durch die Echtzeit – Präsentation der Vernichtung von Gebäuden, Fahrzeugen und Menschen in Ton (Schreie) und Bild (Feuerball, Blut) werden die Folgen kriegerischer Auseinandersetzungen drastisch dargestellt. Offenbar ist umstritten, ob diese Form der Darstellung verkaufsfördernd ist oder nicht. Für die spielerische Qualität des Strategiespiels würden weniger drastische Darstellungen keine Minderung bedeuten – ebensowenig wie ein Schachspiel an Reiz verliert, sondern für die meisten sogar gewinnt, wenn die Figuren nicht in der Art des BATTLE CHESS kämpfen.

In Spielen wie DOOM und Nachfolgeprodukten scheint mir die Darstellung wesentlich brutaler.

3. Strategiespiele in der pädagogischen Diskussion und in Spielezeitschriften – strategisches Denken als Lernziel versus Gewalt im Computerspiel

Wissenschaftliche Analysen werden oft dann besonders interessant, wenn zu einer Thematik unterschiedliche, ja sich widersprechende Positionen vertreten werden, die von verschiedenen Perspektiven ausgehen. Zur Beantwortung der Frage, wie Strategiespiele am Computer aus pädagogischer Sicht eingeschätzt werden sollen, muß zwischen zwei pädagogischen Orientierungen abgewogen werden, die sich offenbar nicht leicht vereinbaren lassen: Auf der einen Seite thematisieren und beinhalten Strategiespiele Krieg und Gewalt. Das Ziel des Spiels ist in der Regel destruktiv: Der oder die Gegner müssen besiegt, vernichtet oder umgebracht werden, um zu gewinnen. Die Wege und Mittel zur Erreichung des Spielziels sind gewalttätig: Gebiete müssen erobert, feindliche Einheiten vernichtet, eigene Armeen aufgebaut und in den Kampf geführt werden. Aus pädagogischer Sicht kann all das nicht positiv beurteilt werden (vgl. dazu etwa: spiel gut 1993, S. 107/108): Die Gewalt im Spiel „findet vorwiegend realitätsfern im Weltraum oder im Horror-Milieu statt und wird mit Science Fiction verbrämt. Die Grundtendenz der Konfliktlösungen, nämlich mit Waffengewalt oder List und Tücke, bleibt aber erhalten. Wir wissen doch, wie stark Vorbild und Gewöhnung auf alle Kinder wirken, ja wir sehen darin sogar ein wesentliches Element der Erziehung. Wieso soll das hier auf einmal nicht gelten?“

In gewisser Weise an dieser Meinung orientiert ist die Diskussion über Gewaltdarstellungen in Strategiespielen (und anderen Computerspielen), die bisweilen in Computerzeitschriften geführt wird. So meldete z.B. der PC – Player 8/95 nach einer sehr langen und lobenden (Bewertung: 91%) Vorstellung von COMMAND & CONQUER: „Da es im Original einiges an Pixel-Brutalität zu sehen gibt, entschärft Virgin COMMAND & CONQUER speziell für den deutschen Markt. Die voraussichtlich im August erscheinende deutsche Ausgabe wird durchwegs auf „Roboter“ getrimmt sein: Statt Infantristen befehligt man Cyborgs, anstelle von Bildschirmblut spritzt Kühlflüssigkeit.“ (PC – Player 8/95 S. 61). Eine typische Reaktion der Fans (z.B. auf den entsprechenden Anschlagbrettern im Internet) war eine Beschwerde wegen Zensur. Als Gegenargument wurde u.a. auf Gewaltdarstellungen in anderen Medien verwiesen – sozusagen auf den gesellschaftlich vorherrschenden/üblichen Durchschnitt von Gewaltdarstellungen.

Anstatt die einzelnen Argumente dieser Diskussion aufzulisten, referiere ich hier kurz eine – für eine bestimmte Position in der Diskussion über Gewaltdarstellung in den Medien beispielhafte – Meinung, die aufgrund einer empirische Studie entstanden ist. Anläßlich seines Vortrages während des 18. Kongresses für angewandte Psychologie (3. Psychologentag) im September 1995 in Bremen formulierte Dr. Rudolf H. Weiß (Stuttgart) in der Zusammenfassung seines Referates: „Gewaltmedien verändern zunehmend Kindheit und Jugend. Pädagogisch – psychologische Interventionen erweisen sich in der Schule häufig als wirkungslos, da bei vielen Eltern keine Bereitschaft zu einer erzieherischen Verhaltensänderung zu erkennen ist. Eigenes Betroffensein und Gewährenlassen schaffen so neben der Allgegenwärtigkeit exzessiver Gewaltdarstellungen in Fernsehen, Video und Computer den Boden für zunehmende Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen und auch für rechtsextreme Einstellungen. Um zu verhindern, daß Gewalt weiter eskaliert und Schule sich immer mehr zum Reparaturbetrieb für gesellschafts- bzw. medienpolitische Mißstände entwickelt, bedarf es einschneidender, auch gesetzgeberischer Veränderungen im Medienbereich.“ (Referatstext, S. 1). Hintergrund für diese Aussagen sind Interviews und Fragebogenaktionen.

Selbstverständlich argumentiert Weiss in seinen Studien und Veröffentlichungen differenzierter – ich nehme dennoch dieses Zitat zum Anlaß, darauf hinzuweisen, daß Kinder, die zu Gewalttätigkeit neigen, ihrerseits Gewalt nicht zum ersten Mal in den Medien wahrgenommen, sondern am eigenen Leib in ihrer Familie erlebt haben. Wenn „bei vielen Eltern keine Bereitschaft zu einer erzieherischen Verhaltensänderung zu erkennen“ ist, hilft es wenig, nun Gewaltdarstellungen aus den Medien zu verbannen (obwohl z.B. eine entsprechende Umgestaltung etwa der Fernsehnachrichten durchaus ein wichtiges Anliegen ist). Im Zentrum muß weiter das eigentliche und schwierige Problem stehen: Wie lassen sich Verhaltensänderung der Eltern erreichen?

Beachtenswert scheint mir im Hinblick auf den Themenkreis Gewalt und Medien noch die Argumentation von Prof. Dr. Hans Josef Tymister, der in seinem Beitrag zum Band „Gewalt in der Gesellschaft“ über „Medien als Gewalt?“ schreibt: „Die Frage danach, welche Filme, Fernsehsendungen und Videos übermäßig viel Gewalt enthalten und deshalb abzulehnen sind, zumindest, wenn Kinder und Jugendliche zuschauen können, greift zu kurz. … Denn erstens ist jede Gewalt übermäßig und zweitens gehört Gewalt immer zum menschlichen Leben und war infolgedessen auch immer Gegenstand in Erzählungen, Märchen, Geschichten und Geschichte, in mündlicher, schriftlicher und neuerdings medialer Tradition. Die Gefahr der Darstellung von Gewalt in Medien lag und liegt darin, daß sie dem Menschen Argumente und Anregungen bieten kann, wenn er, aus welchen Gründen bzw. mit welchem Interesse auch immer, Gewalt gegen sich und andere anwenden will oder angewendet hat.

Wie die Frage nach Gewaltszenen in den Medien, so greift auch die bekannte Entgegenstellung der beiden Thesen zu kurz, in den Medien dargestellte Gewalt fördere Gewaltanwendung in der Realität durch Nachahmung oder: Gewaltszenen dienen der Abreaktion potentieller Gewalt bei den Zuschauern und Zuhörern und trage so zur Eindämmung der Gewalt bei. Da die zuschauenden Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen, dies gilt bei dieser und vergleichbarer Argumentation, aufgrund unterschiedlicher Lebenstile auch unterschiedlich auf dargestellte Gewalt reagieren, ist vielmehr damit zu rechnen, daß von Mensch zu Mensch mal die erste, mal die zweite These Zutreffendes aussagt.

Die viel weiter greifende Gefahr elektronischer Medien liegt darin, daß sie aufgrund einer bisher noch nie dagewesenen Verführungsgewalt des mühelosen Dauerzugriffs zur Abhängigkeit führen können.“ (S. 100) „Dem einzelnen Zuschauer, und hier gibt es keinen Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen, bleibt nur die Entscheidung, sich dem Medium hinzugeben oder zu entziehen.“ (S. 97)

Auf der anderen Seite werden altbekannte Strategiespiele wie SCHACH und GO immer wieder dafür gelobt, daß sie erzieherisch und pädagogisch wertvoll sind – der einst kriegerische Ursprung bzw. Hintergrund dieser Spiele ist in Vergessenheit geraten. Dieser Widerspruch reizt zum Nachdenken. Mein Beitrag soll den aktuellen Stand meines Nachdenkens darüber vorstellen und zum eigenen Überlegen anregen.

Der Ausflug in den Bereich der militärischen Verwendung von Kriegsspielen (s.o.) hat den Eindruck hinterlassen, daß sie für die Ausbildung im Heer bedeutsam sind. Was pädagogisch wertvoll für Offiziere ist („Planung lernen“, „strategisches Denken lernen“ ist übrigens eine Zielsetzung mit langer Tradition – vgl.: Sun Tsu, 1991, ist die Übersetzung eines über 2000 Jahre alten Buches über Strategie), muß deswegen aber für Kinder und Jugendliche keinesfalls auch pädagogisch wertvoll oder umgekehrt (aufgrund einer generellen Ablehnung des Heeres) automatisch abzulehnen sein.

Deshalb liegt der nächste Schritt nahe, nämlich die Nachfrage, was aus pädagogischer und psychologischer Sicht für Kriegsspiele wie SCHACH und GO spricht. M. Kauke (1992) berichtet von einem Unterrichtsversuch in der Schule: „Allgemein erweist sich, daß geistige Potenzen von Schulkindern durch Einsatz von Spielen vornehmlich mit Denkanforderungen im Unterricht intensiver angeregt werden können. Am Beispiel des methodisch gelehrten SCHACHspiels gingen wir dieser These an einem repräsentativen Querschnitt von Schülern der dritten bis siebten Klasse nach. Der „Gewinn“ offenbarte sich in einer beachtlichen Zunahme der intellektuellen Lernfähigkeit. In weiterführenden Experimentalstudien ließ sich in der sechsten Klasse ein Zuwachs in der Planmäßigkeit, Wirksamkeit und Exaktheit des schöpferischen Denkens sowie der Ausbreitung von Ideen nachweisen.“ (S. 157) Bemerkenswert sind auch Effekte im Hinblick auf Verhaltensweisen: „Auf dem Zeugnis der im Spiel unterwiesenen Schüler erscheinen bessere Noten in Betragen, Mitarbeit, Fleiß, Ordnung und Gesamtverhalten. Charakterlich wirken sie ausgewogener.“ (Ebd., S. 158)

Da die genannten Forschungsergebnisse plausibel erscheinen und gegenteilige Berichte nicht bekannt sind, gehe ich im folgenden davon aus, daß die beschriebenen positiven Auswirkungen des „methodisch gelehrten Schachspiels“ tatsächlich eintreten. Unmittelbar daran knüpfen sich zwei Fragen: Wie steht es mit Hobby-Schach, also nicht methodischer Gelehrtem? Und: Gilt die Aussage auch für andere Strategiespiele?

Zur ersten Frage findet sich im Text ein Hinweis, demzufolge dieselben Effekte in schwächerer Form auftreten (insbesondere Grafik 8.3, S. 156). Zur zweiten Frage gibt es eine Anmerkung: „Zur schrittweisen Stimulation der intellektuellen Lernfähigkeiten bei Schülern ist ein Förderungsprogramm von Hermann und Marlis Rüppell (1976) ratsam, das Spiele mit ansteigender Schwierigkeit von einfachen Puzzles über strategische Brett- und sprachliche Logikspiele bis hin zu umfassenden Simulationsspielen enthält.“ (Ebd., S. 157)

4. Vorläufiges Fazit: Strategiespiele am Computer aus pädagogischer Sicht

Zusammengefaßt wird der Eindruck nahegelegt, daß auch Strategiespiele am Computer positive Auswirkungen auf die intellektuelle Lernfähigkeit, auf einen Zuwachs in der Planmäßigkeit, der Wirksamkeit und Exaktheit des schöpferischen Denkens sowie der Ausbreitung von Ideen haben und darüber hinaus sogar zur charakterlichen Ausgewogenheit beitragen. Ist damit die Frage nach ihrer Beurteilung aus pädagogischer Sicht beantwortet?

In seinem Überblick über Studien zur Wirkungsforschung von Computerspielen kam Sacher (W. Sacher: Jugendgefährdung durch Computerspiele? Diskussion der Risiken im Horizont internationaler Forschungsergebnisse, in: Zeitschrift für Pädagogik, 39. Jahrgang Nr. 2/ 1993) zu dem Schluß, daß es keinen empirischen Beleg für langfristige negative Folgewirkungen gibt. Damit sind negative Langzeitwirkungen aber auch nicht ausgeschlossen.

In allen Argumentationen muß aber noch über die ihnen zugrundeliegende Sozialisationstheorie diskutiert werden: Ist hier hinreichend berücksichtigt, daß Kinder durch Medieneinflüsse nicht geprägt werden, sondern ihre Persönlichkeit und ihre Verhaltensweisen durch ihre individuelle Auseinanderstezung mit ihrer Umwelt selbst entwickeln? Punkte wie Menschenbild und Eigenverantwortlichkeit sind hier wesentlich.

Wenn ich das „spiel-gut“ – Argument der negativen Auswirkung von Gewalt am Bildschirm ernst nehme, kann ich aktuelle Strategiespiele am Computer nicht pauschal positiv bewerten. Die Entwicklung der letzten Jahre – insbesondere der Einbezug von Bildsequenzen auf der CD – zeigt eindeutig einen Trend zur Visualisierung des strategischen Geschehens: Kampfsituationen werden auch dann in animierten Bildsequenzen dargestellt, wenn dies für den Spielverlauf völlig überflüssig ist und ihn im Hinblick auf einen schnellen Ablauf sogar hemmt (Bsp.: BATTLE ISLE, PANZER GENERAL oder BATTLE CHESS). Aus dieser Sicht auf jeden Fall abzulehnen sind Echtzeit-Simulationen von Kriegsgeräten (die ja auch im Zeichen der rasanten technischen Entwicklung von Computern immer realitätsnäher werden) sowie Echtzeit-Strategiespiele wie COMMAND & CONQUER.

Für die pädagogische Bewertung von Strategiespielen am Computer bleibt als vorläufiges Zwischenfazit die genaue Einzelprüfung: Wie verhalten sich strategische und andere Elemente im Spiel? Wie symbolhaft werden Kämpfe ausgetragen? Gibt es andere Konfliktlösemöglichkeiten als Kampf? Wie werden Kämpfe optisch präsentiert (als zahlenmäßige Mitteilung über Verlust und Gewinn oder als animierte Bildsequenz)?

Für die Beurteilung von Computerspielen bietet sich eine nachvollziehbare und aus den hier dargelegten Gründen – sowie unter dem Aspekt „Kooperation ermöglichen durch Zeit für Beratung vor einem Zug“ (vgl. Löschenkohl und Bleyer 1995) – als Trennlinie zwischen „empfehlenswert“ und „nicht empfehlenswert“ das Kriterium „Zug-um-Zug“ oder „Echtzeit“ an. Selbstverständlich heißt das nicht, daß alle „Zug-um-Zug“ – Strategiespiele am Computer automatisch als pädagogisch wertvoll und empfehlenswert einzustufen sind.

Literatur

K. Huber, K. Niemeyer, H. Hoffmann: Operationsanalytische Spiele für die Verteidigung, München/Wien 1979
M. Kauke: Spielend lernen – Spielen lehren? (Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg – Berlin New York 1992
W. Sacher: Jugendgefährdung durch Computerspiele? Diskussion der Risiken im Horizont internationaler Forschungsergebnisse, in: Zeitschrift für Pädagogik, 39. Jahrgang Nr. 2/ 1993
spiel gut – Arbeitsausschuß Kinderspiel + Spielzeug e.V.: Gutes Spielzeug von A bis Z, Ratgeber für Spiel und Spielzeug, 23. Auflage 1993
Sun Tsu: Heerführer zum Frieden – Die Kunst der Strategie, Verlag Jugend und Volk, Wien 1991
Theresianische Militärakademie, Ausbildungs- und Simulationszentrum: MARS II – Spielregeln zum computerunterstützten Gefechtsspiel für die Battailons- und Kompanieebene, Wiener Neustadt 1992
H. J. Tymister: Medien als Gewalt?, in: U. Lehmkuhl (Hrsg.): Gewalt in der Gesellschaft, Ernst Reinhard Verlag München Basel 1995

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