Hatte Hitler Alternativen zum Russland-Feldzug ?


Hatte Hitler Alternativen zum Russland-Feldzug ?
Teil II zur Frage, wieso griff der Führer Russland an ?

Staatsbesuch von Molotow in Berlin
Beim Staatsbesuch von Molotow in Berlin versuchte Hitler, dem russischen Außenminister ohne Erfolg ein Engagement in Europa und Mittleren Osten (Balkan, Türkei, Finnland, Irak, Syrien) auszureden. Danach war eigentlich klar, dass es zur Konfrontation kommen musste.

t_arrow1Siehe auch Teil I: Wieso griff Hitler Russland an ?


In den vier Monaten zwischen Juli und Dezember 1940 wirkte Hitler in Bezug auf die endgültige deutsche Strategie merkwürdig schwankend – unsicher, welchen Weg er einschlagen sollte, zögerlich, unentschlossen, sogar schwach. Er schien bei seinen politischen Bemühungen um Franco, Marschall Petain, Mussolini und dem sowjetischen Außenminister Molotow sogar Vorschläge in Erwägung zu ziehen, die im Widerspruch zum Krieg im Osten standen.
In der Führungsstruktur des Dritten Reiches gab es kaum Möglichkeiten, wie in anderen Regierungsapparaten, Diskussionen über Alternativen und Entscheidungsfragen abzuhalten. Alles war auf Hitler ausgerichtet, der zwar von verschiedenen näher stehenden Persönlichkeiten beeinflusst werden konnte, die endgültige Entscheidung aber ganz alleine traf und diesen Entschluss seiner Umgebung mitteilte.
Die Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe und Marine arbeiteten nicht zusammen, sondern vielmehr neben her. Vom Befehlshaber der Luftwaffe, Göring, waren überhaupt keine eigenständigen Vorschläge zu erwarten.

Admiral Raeder
Admiral Erich Raeder, seit 1935 bis zum 30. Januar 1943 Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, war der einzige führende militärische Kopf, der Hitler eine alternative Strategie anbot.

Lediglich die Kriegsmarine hatte alternative Vorstellungen und Pläne zum weiteren Kriegsverlauf gegen Großbritannien. Diese zielten auf die Kontrolle des Mittelmeerraumes mit der Wegnahme Gibraltars und des Suez-Kanals sowie der Kontrolle über die Kanarischen Inseln in der ersten Phase und später die Inbesitznahme der wichtigen Erdölfelder im Nahen Osten.
Hitler stimmte dieser Mittelmeer-Strategie zwar grundsätzlich zu, machte ihr Umsetzung aber vom Ausgang der Verhandlungen mit Mussolini, Franco und Petain abhängig. Es war sich bewusst, dass es nicht leicht sein würde, sie alle zufriedenzustellen. Die einander widerstreitenden Interessen auszugleichen gestand er zynisch ein, sei ’nur durch grandiosen Betrug möglich.‘
 

Diese Vorstellungen über die Ausrichtung der deutschen Kriegsführung auf das Mittelmeer passten gut zu den Vorstellungen im Auswärtigen Amt, wo Außenminister von Ribbentrop die Bildung eines ‚Kontinentalblocks‘ forderte – als mächtiges Bündnis gegen Großbritannien und womöglich die Vereinigten Staaten. Es wurde ein weltweites Bündnis auch unter Beteiligung der Sowjetunion und Japans propagiert.
Freilich beruhte die Umsetzung einer solchen Strategie auf bedeutende diplomatische Durchbrüche, genauer gesagt auf Hitlers Fähigkeit, Vereinbarungen mit den Führern von Spanien, Vichy-Frankreich, Italiens sowie womöglich auch mit der Sowjetunion und Japan zustande zu bringen.
Und genau daran sollte alles scheitern.

Eine Zeitlang gab Hitler diesen Bestrebungen von Raeder (Kriegsmarine), Warlimont (Wehrmacht) und Ribbentrop (Außenministerium) nach, für welche diese ‚Mittelmeer-Strategie‘ eine Alternative zum Angriff auf Russland darstellte. Für Hitler schien sie jedoch lediglich ein Vorspiel, um Deutschland den Rücken freizuhalten, bevor es zum endgültigen Schlagabtausch mit der Sowjetunion käme, der in seinen Augen sowohl unvermeidlich, als auch alleine das Potenzial besaß, über den Endsieg zu entscheiden. Daher betrachtete er diese Strategie nie als Endzweck.

Dies erklärt teilweise, warum seine diplomatischen Bemühungen, welche er im Oktober in Gesprächen mit Mussolini, Franco und Petain unternahm, so unergiebig waren. Dabei kam zutage, dass Hitler Spanien nicht zufriedenstellen konnte, ohne Frankreich vor den Kopf zu stoßen, und er konnte Frankreich nicht entgegenkommen, ohne seinen ‚Freund‘ Mussolini zu verärgern.
Dabei musste er bei seinem Zusammentreffen mit Mussolini in Florenz am 28. Oktober 1940 erfahren, dass die Italiener zusätzlich noch Griechenland angegriffen haben und damit einen weiteren kräftigen Stock in die Speichen der militärischen Kooperation der Verbündeten geworfen haben. Zudem bedeutete Mussolinis griechisches Abenteuer – was Hitler intern als ‚bodenlose Dummheit‘ bezeichnete -, dass die italienische Offensive in Libyen verschoben werden musste und folglich auch die Stationierung deutscher Truppen in Nordafrika und der Vorstoß zum Suez-Kanal. Es waren auch die ersten klaren Anzeichen bei Hitler zu erkennen, dass er von nun an den militärischen Fähigkeiten seines italienischen Partners misstraute.

Bereits auf der Rückfahrt hatte Hitler Jodl und Keitel vom OKW mitgeteilt, dass der Krieg gegen Russland nun im folgenden Jahr stattfinden müsse.
Offenbar fühlte sich Hitler durch diese Rückschläge bei der Schaffung des ‚Kontinentalblocks‘ in seiner früheren Ansicht bestärkt, dass der Angriff auf die Sowjetunion der einzige Weg zum endgültigen Sieg sei.
Als der sowjetische Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten Molotow nach Berlin reiste, um am 12. und 13. November Gespräche mit Hitler zu führen, stand die deutsche Strategie allerdings immer noch nicht endgültig fest. Am selben Tag, an dem die Unterredungen begannen, gab Hitler als wichtigste Weisung an die Wehrmacht heraus, die Einnahme Gibraltars und anderer Ziele der ‚Mittelmeer-Strategie‘ vorzubereiten.
Und die bedeutsamste Feststellung traf Hitler am Ende der Weisung: ‚Politische Besprechungen mit dem Ziel, die Haltung Russlands für die nächste Zeit zu klären, sind eingeleitet.‘

Staatsbesuch Molotows in Berlin
Der sowjetische Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten, Wjatscheslaw Molotow, mit dem deutschen Außenminister Joachim von Ribbentrop an seiner Rechten bei seinem Berinbesuch am 12. November 1940, der Hitler endgültig davon überzeugte, daß der Angriff auf die Sowjetunion unverzüglich in Gang gesetzt werden musste.

Nach der Ansicht Hitlers musste der Dreimächtepakt ohne die Einbeziehung der Sowjetunion – entweder als Mitglied oder durch eine militärische Eroberung – nach elementaren Regeln zwangsläufig dazu führen, dass sich Stalin Großbritannien und Amerika annähern wird. Diese würde aber Japan in eine schwierige Situation bringen.

Jedoch ging Hitler in der Frage der Einbindung der Sowjetunion in den Dreimächtepakt zum ‚Kontinentalblock‘ bei Molotows Besuch und trotz der Befürwortung von Reichsaußenminister von Ribbentrop und der japanischen Regierung mit zu vielen Vorbehalten in die Gespräche.
So erwähnte er die mit Japan vereinbarten Pläne nicht und bot dem Russen nicht einen der Großräume zur Aufteilung an. Nach japanischer Auffassung sollte die Sowjetunion sich in Richtung Südasien, einschließlich Britisch-Indiens, ausdehnen. Hitler ließ sich aber nur zu Andeutungen herab.
Die allgemeinen Visionen der Mitglieder des Dreimächtepaktes sahen jedenfalls vor, dass es in Zukunft vier ‚Großräume‘ geben sollte. Deutschland und Italien mit ihren europäischen Verbündeten sollte Europa, den Mittelmeerraum und Afrika beherrschen. Japan sollte China und Südostasien erhalten, während sich die Russen von Zentralasien nach Süden hin ausbreiten würden. Als letzter Großraum würde dann nur noch das von den Vereinigten Staaten dominierte Nord- und Südamerika verbleiben, wobei die unvermeidliche Auseinandersetzung mit den USA in ferne Zukunft verschoben werden sollte.


Schon die enormen Probleme mit den möglichen Verbündeten in West-Europa, nämlich Spanien, Frankreich und Italien, welche nach Hitlers Ansicht ’nur durch grandiosen Betrug‘ überwunden werden könnten, ließen ihn vor einer genauen Festlegung auf den gewünschten ‚Viermächtepakt‘ abschrecken.

Dagegen war der sowjetische Außenminister Molotow ungewöhnlich offen. Dieser forderte frei heraus nicht nur die erwartete Kontrolle über Finnland, Rumänien, Bulgarien und den Bosporus, sondern auch den von Deutschland besetzten Teil Polens, Ungarn, Jugoslawiens und die Beherrschung aller Ostsee-Ausgänge.

Umladen von Getreidelieferungen aus Sowjetunion
Die Abhängigkeit Deutschlands von Stalins Sowjetunion: Umladen von Getreidelieferungen an der Demarkationslinie in Polen.

Hitler war sich zwar bewusst, dass er für die Hilfe der Sowjetunion einen Preis zahlen musste, aber diese Forderungen waren für ein siegreiches Deutschland unannehmbar. Vielmehr schienen die russischen Vorschläge schon die Niederlage Deutschlands gegen die Briten und Amerikaner im Westen ins Kalkül zu ziehen und es ging den Russen nur um einen möglichst große Pufferzone um die Sowjetunion.
Schon die Erfahrung der Zaren im Krimkrieg und der Bolschewisten unter Lenin im Interventionskrieg 1918/19 gegen die Alliierten machten jedem Herrscher in Kreml klar, dass die Kontrolle der Zufahrten in die Ostsee und das Schwarze Meer von enormer Bedeutung ist.

 

Hitler sah deshalb die Lage dementsprechend, dass die Sowjetunion zum Gegner geworden war und das er bei einem Verzicht auf Unternehmen Barbarossa auf einem zu kleinen Raum in Mitteleuropa eingeschnürt wäre, der für die Weltkriegs-Strategie gegen Großbritannien und das immer aktivere Amerika zu klein und über nicht genügend Ressourcen verfügte.
Stalin würde in der Zwischenzeit den zu erwartenden, jahrelangen Abnutzungskrieg zwischen den westlichen Demokratien und den Mitgliedern des Dreimächtepakts genüsslich zusehen, bis er in einer Position der Stärke wäre, mit der er seine Ziele erpressen konnte.

So führte der Besuch Molotows bei Hitler zu Unbehagen, ebenso wie sich die Lage im Mittelmeer-Raum inzwischen derart skeptisch entwickelte, dass er sich in seinen Vorstellungen bestätigt sah und auf die Strategie zurückgriff, welche er bereits im Sommer favorisiert hatte: den Angriff auf die Sowjetunion.

Bald darauf schickte Hitler seine Adjutanten aus, um einen Ort für ein Feldhauptquartier in Ostpreußen zu suchen. Am 5. Dezember 1940 wies er Brauchitsch und Halder an, das Heer für einen Angriff auf die Sowjetunion Ende Mai des nächsten Jahres vorzubereiten.

Am 18. Dezember wurde seine formelle Weisung für das ‚Unternehmen Barbarossa‚ festgelegt. Sie gab ausdrücklich das Ziel vor, ‚auch vor Beendigung des Krieges gegen England Sowjetrussland in einem schnellen Feldzug niederzuwerfen‘.
Zwar passte der Angriff auf Russland in Hitlers ideologische Überzeugung, aber bei der Festlegung des Termins waren strategische Überlegungen ausschlaggebend: Es wurde angenommen, dass die USA 1942 so weit sein würden, aufseiten Großbritanniens in den Krieg zu ziehen. Es war somit klar, dass die Zeit gegen Deutschland arbeitete.

deutsche Truppenbereitstellung
Getarnte deutsche Truppenbereitstellung in Ostpreußen.

Da Hitler also nicht das Glücksspiel um die Weltmacht zu seinen Bedingungen und Zeitpunkt beenden konnte und die Chancen auf längere Sicht gegen Deutschland standen und da es auch keine ‚Ausstiegsklausel‘ gab, konnte er nur – wie immer – den nächsten kühnen Schritt nach vorne wagen. ‚Barbarossa‘, verspricht Hitler, wird ‚wie ein Hagelsturm über Russland hereinbrechen, und die Welt werde den Atem anhalten‘.


 

Es war Wahnsinn, aber er hatte Methode.


t_arrow1Siehe auch Teil I: Wieso griff Hitler Russland an ?


Quellenangaben und Literatur

Der 2. Weltkrieg (C. Bertelsmann Verlag)
Zweiter Weltkrieg in Bildern (Mathias Färber)
Wendepunkte (Ian Kershaw)
Illustrierte Geschichte des Dritte Reiches (Kurt Zentner)
Unser Jahrhundert im Bild (Bertelsmann Lesering)
A World at Arms – A Global History of World War II (Gerhard L. Weinberg)


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