Endlösung


Die ‚Endlösung der Judenfrage‘ mit dem Beginn des Russland-Feldzuges.
Ein Versuch des chronologischen Ablaufs der Maßnahmen und Entscheidungsfindung zum Holocaust im entscheidenden Zeitraum von Juni bis Dezember 1941.

Russische Juden
Russische Juden, welche nach Beginn des Russland-Feldzuges wegen angeblicher Plünderei eingesperrt wurden, betteln um Nahrung.

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Endlösung der Judenfrage

Bereits am 30. Januar 1939 hatte Adolf Hitler in seiner Reichstagsrede erklärt: ‚Ich bin in meinem Leben sehr oft Prophet gewesen und wurde meistens ausgelacht … Ich will heute wieder ein Prophet sein: Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung am Ende und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.‘

Der Weltkrieg war inzwischen praktisch Realität geworden und Hitlers Beschluss vom Dezember 1940, im nachfolgenden Frühjahr das bolschewistische Russland zu überfallen, ließ ihn die letzten, wenn überhaupt vorhandenen moralischen oder aus welchen (politischen) Gründen auch immer existierenden Hemmnisse über Bord werfen, den Völkermord zu begehen.

Die Eroberung des europäischen Russlands würde zu dem bisher ungelösten Problem von vier bis sechs Millionen Juden im bisherigen deutschen Herrschaftsbereich noch viele weitere Millionen hinzubringen. Ein Russland-Feldzug mit seinem anvisierten schnellen, siegreichen Ende würde aber auch eine gewaltige Bevölkerungsverschiebung, zusammen mit einer ‚rassischen Säuberung‘, ermöglichen.

Als Ersatz für die im Frühjahr 1941 aufgegebenen Madagaskar-Pläne bestand nun die Möglichkeit, Juden weit nach Osten, am besten hinter den Ural, deportieren zu können. Dies waren im ersten Halbjahr 1941 die Pläne von Heydrich und Himmler für die ab diesem Zeitpunkt sogenannte ‚Endlösung der Judenfrage‘.

Vernichtungskrieg im Osten

Für die sowjetischen Juden galten jedoch von Anfang an andere Maßstäbe. Da der Ostfeldzug laut Hitler als ‚Vernichtungskampf‘ geführt werden sollte, müsse schon während der Operationen die ‚jüdisch-bolschewistische Intelligenz beseitigt‘ werden.
Bis Mai 1941 war vier Einsatzgruppen, zwischen sechshundert bis tausend Mann stark, von Heydrich gebildet worden, welche ’subversive Elemente‘ hinter der Front eliminieren sollten. Heydrichs Einsatzbefehle überließen es weitgehend den Kommandeuren dieser Einheiten, was ’subversiv‘ war. So galten Juden, Zigeuner, Saboteure, Kommissare und kommunistische Funktionäre als gefährliche Elemente. Aber er wies im besonderen daraufhin, dass gemäß den Zielen des Führers das ‚Judentum als Reservoir des Bolschewismus‘ gilt und daher
ausgerottet werden muss.

BABI JAR MASSAKER
Die Opfer, welche hier auf die Exekution während des berüchtigten Massaker von Babi Jar warten, stehen am Rand eines Massengrabs, in dem bereits Leichen von Erschossenen liegen.

Seit der Eroberung Polens wurde die NS-Herrschaft zunehmend radikaler und der Beginn des Ostfeldzuges wies bereits die Richtung zum Völkermord, aber der endgültige Schritt zum Holocaust wurde noch nicht unternommen.
Hitlers Rolle bei diesen Entwicklungen seit September 1939 muss entscheidend gewesen sein, kann aber nicht nachgewiesen werden. Nachdem er einmal die ‚ethnischen Säuberungen‘ in Gang gesetzt hatte, konnte er Planung und Ausführung ohne weiteres Himmler und Heydrich überlassen haben.
So wiederholte Hitler am 30. Januar 1941 bei seiner alljährlichen Rede zur Machtergreifung wohl nicht von ungefähr die Worte von 1939 über die ‚Schuld des Judentums am Weltkrieg‘.

Jüdische Opfer der Einsatzgruppe C in Lemberg
Jüdische Opfer der Einsatzgruppe C in Lemberg. Verzweifelte Angehörige suchen nach ihren Toten.
Beim Angriff auf die Sowjetunion wurden die Soldaten der Wehrmacht in den kommenden ‚Vernichtungskampf‘ und auch in den Kommissar-Befehl eingewiesen. Wenn diese Befehle auch nicht überall weitergegeben oder befolgt wurden, so glaubten doch viele deutsche Soldaten, dass Russland unter der Herrschaft einer jüdischen Verbrecherclique stand und sie den Frieden und die Ordnung wiederherstellten mussten.
Dies führte zu rücksichtslosem Vorgehen gegen die Kommissare der Roten Armee, Partisanen oder welche dafür gehalten wurden, sowie den ‚bolschewistischen Juden‘.

Der Völkermord an den sowjetischen Juden wurde aber erst einige Wochen nach Beginn des Krieges in Russland von Heinrich Himmler mündlich an die Einsatzgruppen erteilt. Die bisherigen Anweisungen Heydrichs waren zwar in typischer Weise ungenau, aber begrenzt gewesen.

Himmler übernimmt hinter der Ostfront

Kurz nach dem 15. Juli 1941 erfuhr Reichsführer-SS Himmler, dass er praktisch ein offenes Mandat für den Polizeieinsatz und die Sicherheit im Osten erhalten habe. Hitler hatte im Protokoll erklärt ‚alles auszurotten, was sich gegen uns stellt‘ und ‚jeden der nur schief schaut, totzuschießen.‘
Um diese Vollmachten nutzen zu können, schickte Himmler zwei starke SS-Brigaden mit 11.000 Mann in die Pripjetsümpfe. Innerhalb einer Woche hatte er die hinter der Front operierenden SS-Verbände vervierfacht und auch die Polizeibataillone im Osten wurden bis Ende 1941 auf über 33.000 Mann verstärkt. Das waren dann etwa elfmal soviel Männer, wie die ursprünglichen Einsatzgruppen bei Beginn des Russland-Feldzuges hatten. Und da in der NS-Diktatur ‚Sicherheit‘ auch ‚Säuberungen‘ beinhaltete, wurden dadurch noch mehr Juden umgebracht.

Es gab zwar keine expliziten Befehle zum Mord, es entstand aber ein komplexes Wechselspiel zwischen ‚Basis‘ und ‚Führung‘ mit Tarnbegriffen um das unsagbare zu Umschreiben, wo Initiativen von unten von oben gelobt wurden und eine Spirale der Radikalisierung entstand.

Da alles nur mündlich und ungenau angeordnet wurde, war auch das Verhalten der Einsatzgruppen nicht identisch.
Hinter der Heeresgruppe Nord, welche vom nahen deutschen Ostpreußen angetreten war, waren die Aktionen der Einsatzgruppe A schon zu Beginn äußerst brutal. Im litauischen Kowno wurden schon am 6. Juli mehr als 2.500 Juden erschossen. Das Ganze wurde im Baltikum noch durch örtliche Pogrome verschärft, wo die aufgehetzte Bevölkerung ihrem Hass auf Juden ihren freien Lauf lassen konnte.

barbarischen Ermordung von hunderten Juden
Bild von der barbarischen Ermordung von hunderten Juden durch von der Sicherheitspolizei freigelassene Zuchthäusler mit Eisenrohren in Kaunas (Litauen), welches in dem Operationsgebiet der besonders brutalen Einsatzgruppe A liegt.

Am 1. August 1941 gab dann das 2. SS-Kavallerie-Regiment in den Pripjetsümpfen einen Befehl von Reichsführer-SS Himmler an seine Einheiten weiter: ‚Sämtliche Juden müssen erschossen werden und die Judenweiber sind in die Sümpfe zu treiben‘.
Die verantwortlichen Offiziere ‚interpretierten‘ diese Befehle zwar unterschiedlich, das Regiment meldete aber nach zwei Wochen die erfolgreiche ‚Entjudung‘. Einer der Kommandeure nahm Himmlers Befehl sogar wörtlich und musste entschuldigend melden, seine Männer hätten zwar Frauen und Kinder in die Sümpfe getrieben, aber dass diese nicht tief genug waren, um darin zu versinken.
Dass Hitler von der Aktion Kenntnis gehabt haben musste, zeigte eine seiner Bemerkungen an Heydrich und Himmler während eines Abendempfangs einige Wochen später: ‚Sage mir keiner, wir können sie doch nicht in den Morast schicken !‘.


Himmler befragt Frauen bei Minsk
Reichsführer-SS Heinrich Himmler und zwei Mitglieder seiner Terrororganisation befragen Frauen bei Minsk.

Nach Himmlers Besuch in Minsk Mitte August 1941 stiegen die Opferzahlen in Weißrussland jedenfalls enorm an.
Im Januar 1942 lebten in der Sowjetunion noch etwa fünf Millionen Juden, obwohl bereits Hunderttausende ermordet worden waren. Anfang des Jahres 1941 schätzte Eichmann die Zahl der zu deportierenden Juden in Europa, ohne diejenigen in der Sowjetunion, noch auf fast sechs Millionen.

Judenstern und Entschluss zur Deportation

Endlösung
Von September 1941 an müssen alle Juden den gelben Stern auf ihrer Kleidung aufgenäht tragen, was den Beginn der ‚Endlösung‘ einläutet.
Im August forderte Goebbels dann von einem schlechtgelaunten und kranken Hitler, dass Juden ein Kennzeichen tragen müssten. Hitler ging auf sein Ansinnen ein und am 1. September wurde dann der Judenstern eingeführt, um Betroffene von vorneherein als Juden erkennen zu lassen.
Heydrich seinerseits forderte ebenfalls im August von Hitler die ‚Reichsjuden‘ in den Osten deportieren zu lassen. Dies lehnte der Führer aber ab, vermutlich da dies zu großer Aufmerksamkeit im Reich und auch in den USA, welche er noch hoffte, aus dem Krieg heraushalten zu können, führen konnte. Auch wusste er, dass eine Deportation nach Russland vor einem Sieg über die Sowjetunion nicht möglich war und in den Ghettos von Polen kein Platz mehr war.

Nachdem Stalin die Deportation von Hunderttausenden von ‚Volksdeutschen‘ von der Wolga nach Sibirien befohlen hatte, änderte Hitler Mitte September 1941 jedoch seine Meinung zur Deportation der ‚Reichsjuden‘.
Diese Entscheidung leitete auch den Übergang zum Genozid ein, denn ein Sieg über die Sowjetunion noch im Jahr 1941 schien schon zu diesem Zeitpunkt ausgeschlossen und damit auch die Deportation ‚hinter den Ural‘.
Auch wenn keiner das Wort in den Mund nahm, war den Beteiligten nun klar, was die sogenannte ‚Endlösung der Judenfrage‘ bedeuten musste.
Nachdem die Emigration von Juden bisher vom Dritten Reich gefördert wurde, ändert sich auch dies am 1. Oktober 1941, als das Auswandern verboten wurde.

Ab dem 15. Oktober erfolgten die Deportationen den ‚Reichsjuden‘ aus Städten wie Wien, Prag und Berlin und es gab noch keinen Plan für Massenmorde. Allerdings gab es in den Ghettos im Osten eigentlich keinen Platz mehr, sodass es den Verantwortlichen vor Ort erlaubt wurde, selbst radikale Maßnahmen nach eigenem Ermessen anzuordnen. So wurden in Kowno und Riga deportierte Juden bei ihrer Ankunft im November sofort erschossen.

Am 18. September 1941 teilte Himmler dem Gauleiter des Wartheland mit, dass er 60.000 weitere Juden im Ghetto von Lodz aufnehmen müsse. Aber das Ghetto war zu dieser Zeit schon völlig überfüllt und so gab es die Erlaubnis aus Berlin, arbeitsunfähige Juden umzubringen. Die ersten von ihnen wurden Anfang Dezember in Chelmno mit Gas umgebracht.

Die regionalen Mordaktionen waren aber noch nicht Teil eines großen Programms. Oft wussten die Zivilstellen in den besetzten Gebieten nichts von einem angeordneten Völkermord. Der Generalkommissar für Weißruthenien in Minsk, Wilhelm Kube, weigerte sich zum Beispiel noch ‚Reichsjuden‘ umbringen zu lassen.

Entschluss zum Völkermord

Im November 1941 musste aber die endgültige Entscheidung zum Völkermord gefallen sein. Am 5. November 1941 sagte Hitler bei einem Abendessen in Anwesenheit Himmlers, er könne keine ‚Verbrecher‘ am Leben lassen, während an der Front die besten Männer fallen. ‚Man habe das ja schon 1918 erlebt‘ – auch wenn er das Wort Jude nicht gebrauchte.

Nun war es an der Zeit, Maßnahmen zu ergreifen und Heydrich verschickte am 29. November Einladungen an wichtige Zivilbeamte, welche mit der ‚Judenfrage‘ beauftragt werden sollten. Dazu gehörten mehrere Staatssekretäre und einige SS-Vertreter. Aber diese wurden mit der Einladung offensichtlich nicht über ein Programm zur Vergasung von Millionen von Juden in besonderen Vernichtungslagern in Kenntnis gesetzt. Auch war kein einziger für Transportfragen zuständiger Beamter eingeladen worden und so tappten diese Personen hinsichtlich des Zwecks der Sitzung im Dunkeln.
Die Besprechung sollte am 9. Dezember stattfinden, aber die Gegenoffensive der Roten Armee vor Moskau, der japanische Überfall auf Pearl Harbor und Hitlers Kriegserklärung an die USA führten zu einer Verschiebung der Konferenz.
Eine Deportation der Juden in die Sowjetunion oder hinter den Ural kam jedoch bei der nun verschärften Kriegslage auf keinen Fall mehr infrage.

Kinder Warschauer Ghetto
Hungernde und bettelnde Kinder im Warschauer Ghetto.
Zwischenzeitlich war Hitler zur Endlösung wohl fest entschlossen und bekräftigte dies vor Parteiführern am 12. Dezember, als er erklärte: ‚Der Weltkrieg ist nun da, die Vernichtung des Judentums muss die notwendige Folge sein‘.
Einer der Zuhörer war Hans Frank, der Generalgouverneur von Polen gewesen. Vier Tage später übermittelte er dies wortwörtlich als Zitat an seine Mitarbeiter vor Ort. Noch glaubte er an eine Abschiebung nach Osten und wartete auf die verschobene Sitzung von Heydrich, welche als Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942 den Holocaust einleiteten sollte.

Während Frank noch wartete, wie die angekündigte ‚Vernichtung‘ ablaufen sollte, wurde ihm auch schon mitgeteilt, dass niemand seine Juden im Osten braucht und er sich stattdessen in seinem Herrschaftsgebiet selbst um Massentötungen kümmern sollte.

Er schätze die Zahl der Juden im Generalgouvernement auf 3,5 Millionen und sagte dazu, so viele können wir weder erschießen noch vergiften. Ihm schwebten wohl daher andere ‚Maßnahmen‘ zur Vernichtung vor, wie Hunger und Krankheiten in den überfüllten Ghettos. Von den Todeslagern mit Gaskammern, welche bald in seinem Herrschaftsgebiet errichtet werden sollten, hatte er wohl zu diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung.


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Quellenangaben und Literatur

Illustrierte Geschichte des Dritte Reiches (Kurt Zentner)
Wendepunkte (Ian Kershaw)
Unser Jahrhundert im Bild (Bertelsmann Lesering)
Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier (Henry Picker)


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